Dankesworte von Leila Weber und Andreas Knapp

Vielen Dank für Ihre Laudatio, sehr geehrte Frau Goulard,

sehr geehrter Herr Mirow, sehr geehrter Herr Voßkuhle, wehrte Mitglieder der Jury, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Rehlinger.

Sehr geehrter Herr Kiefer, das Thema Grenze ist auch für uns ein sehr wichtiges und sehr berührend.

Als wir 2016 zum ersten Mal durch die überfüllten Hangarhallen der Notunterkunft des ehemaligen Flughafens Tempelhof gingen, um mit unseren Streichinstrumenten die neu angekommenen Kinder zum Musikmachen einzuladen, hätten wir uns nicht vorstellen können, heute mit unserem Orchester diese Auszeichnung in Empfang zu nehmen.

HANGARMUSIK und „Demos“ haben am 22. Januar diesen Jahres in mitten der Kunstwerke von Anselm Kiefer im Pantheon Paris ein Konzert gespielt, ohne zu wissen, dass uns dieser Tag heute zusammenführen wird.

Wir sind glücklich, mit unseren Freunden vom Orchesterprojekt Demos der Philharmonie de Paris den Förderpreis zu erhalten. Schon im Jahr 2018 war ein Demos Orchester aus Montbéliard bei uns in der Zollgarage des Flughafens zu Gast. Anlässlich der EU- Ratspräsidentschaft Frankreichs reisten wir 2022 zum ersten Mal nach Paris, um Teil des Orchesters-Demos-Europe zu sein.

Ich bin im Saarland an der deutsch-französischen Grenze aufgewachsen. Wenn ich als Kind die Weltkarte an der Wand im Zimmer meines Vaters betrachtete, fragte ich mich immer: Warum bin ich genau hier geboren? Obwohl wir eine Grenzkontrolle passieren mussten, empfand ich Frankreich als Teil meiner Heimat. Später habe ich erlebt, dass Grenze eine ganz andere Bedeutung haben kann, das war in Griechenland. Es war ein Schock!

Dort haben wir im Jahr 2021 neun Monate lang im Hotspot Vial an der sogenannten europäischen Aussengrenze mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen Musik von Beethoven und Mahler auf Geigen und Celli erarbeitet. Und das inmitten von Elend, Not, Verzweiflung und andauernden Pushbacks, bei denen bis heute Geflüchtete ihr Leben im Mittelmeer verlieren. Vor drei Wochen hat diese Situation ein erschütterndes, unvorstellbares Ausmass erreicht.

Zadie Smith schreibt im Nachwort zu Toni Morrisons Erzählung „Rezitativ“:

„Gehört werden wollen macht Menschen aus. Wenn wir nicht gehört werden, sind wir Niemande. Sobald man sich bewusst von irgendeiner Form Leidens abwendet, verwandelt man die Grenze zwischen uns und dem Rest der Menschheit, die eigentlich durchlässig sein sollte, in etwas Starres und Todbringendes. Man nimmt für sich in Anspruch, mit der Geschichte der Niemande, mit dem Leiden der Niemande nicht behelligt werden zu wollen.“

Die jungen Musikerinnen und Musiker, die hier heute spielen, kommen zwar aus verschiedensten Ländern der Welt, doch für alle ist Berlin ein Zuhause geworden. Umso unverständlicher ist, dass einige unserer Orchestermitglieder selbst nach Jahren immer noch keine Bleibeperspektive haben, ja nicht einmal Berlin verlassen dürfen, trotz guter Schulnoten als integrierte Berlinerinnen und Berliner.

Aufgrund einer politischen Entscheidung im Jahr 2015 konnten geflüchtete Familien mit ihren Kindern über die Grenzen zu uns kommen. Wird das in Zukunft noch möglich sein? Ist es Schicksal oder zufälliges Glück in Europa geboren zu sein? Kann Humanität Grenzen haben?

In der Musik gibt es keine Grenzen. Wir können sie überall gemeinsam spielen, ohne dass wir dieselbe Sprache sprechen. Aus Liebe zur Musik, aus Empathie, Menschlichkeit und Verantwortung für die zur Flucht gezwungenen Menschen ist eine musikalische Gemeinschaft entstanden.

(Leila Weber)

„Klangwundermaschine aus Menschen“ – So hat Nikolaus Harnoncourt definiert, was ein Orchester ist. Hier sitzt so eine „Klangwundermaschine“. „Kinder spielen Orchestermusik“. Mit diesem Credo haben wir einen musikalischen Schutzraum geschaffen, in dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene gemeinsam musizieren: HANGARMUSIK.

Auf einem Streichinstrument gezupfte leere Saiten D,A – D,A, sind sofort Teil einer Sequenz aus der 1. Sinfonie von Gustav Mahler – in Originaltonart! Das ermöglicht Anfängern und Profis vom ersten Tag an zusammen Musik zu machen. Sie werden das gleich in unserem letzten musikalischen Beitrag hören.

Das Kreieren eines eigenen Tons innerhalb einer Gemeinschaft ist auch ein tief demokratischer Prozess. Er fördert das Bewusstsein, „meine Stimme“ zählt, mein Beitrag“ wird wahrgenommen. Zugleich lehrt er Verantwortung für die Gemeinschaft. Denn ein Ton, der fehlt, ist ein Verlust für alle! Das Schöne an Orchestermusik ist: Selbst dort, wo sie Dissonanzen beinhaltet, bleibt am Ende Gemeinsamkeit. Das ist auch der Unterschied zum Sport. Im Sport herrscht Wettbewerb, der Schnellste gewinnt. Bei uns gewinnt nie der Schnellste.

Orchestermusik lässt sich auch nicht national einordnen. In ihr spiegelt sich die Geschichte der Menschheit wie auch die Geschichte der Musizierenden. Wir alle kennen den Begriff: „Made in Germany“. Heute hören wir Musik „Made in Germany“ – und am Ende wird niemand fragen: „Made from which nationality?“

Lassen Sie uns den Begriff „Nation“ daher erweitern: Nation, das sind wir, die wir gemeinsam dieses Land bereichern, wir, die wir gemeinsam Musik erklingen lassen und hören.

Leila Weber hat eben auf die alarmierende politische Situation hingewiesen, innerhalb der sich unsere Arbeit bewegt. In den Schriften von Fritz Bauer haben wir dafür ein Leitmotiv gefunden. Herr Voßkuhle, Sie wissen, wovon wir reden. Vor über 60 Jahren hat er einen Kompass zur Orientierung menschlichen Handelns formuliert:

„Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“

Mit der Ehrung von Demos und HANGARMUSIK lenken Sie den Blick auf die Kunstform Orchestermusik, deren Potential als integrative und soziale Kraft hierzulande noch viel zu wenig Beachtung findet. Frankreich ist da mit dem Projekt DEMOS bereits einen sehr großen Schritt weiter.

Danken möchten wir den Kindern und Jugendlichen von HANGARMUSIK sowie unserem Team für die Begeisterung zum miteinander Musizieren, den privaten Förderern, ohne die wir HANGARMUSIK nicht realisieren könnten. Wir freuen uns, dass einige von Ihnen hier sind.

Und natürlich danken wir der Deutschen Nationalstiftung, Ihnen Herr Mirow, Herr Voßkuhle und der Jury, Ihnen, Frau Goulard und Frau Klaus mit ihrem Team.

Von ganzem Herzen danken wir Anselm Kiefer! Für Ihre Großzügigkeit, und dafür, mit Ihrem Schaffen unsere Sinne zu öffnen. Was Sie durch die Preisgelder ermöglichen ist weit mehr als die Förderung musikalischer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Sie ermöglichen uns, die Welt nach einer Hölle humaner werden zu lassen.

Danke!!!

(Andreas Knapp)

© Hangarmusik – Leila Weber & Andreas Knapp

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